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Alte Helden auf der Zitadelle

Jethro Tull db (7)Jethro Tull und Blackmore’s Night begeistern ihre Fans in historischer Kulisse

30.07.2011 [db] Gegensätzlicher hätten die beiden Künstler nicht sein können, die an zwei Wochenenden die Zitadelle Petersberg in Erfurt in einen Wallfahrtsort ihrer Anhänger verwandelten. Renaissance und Progressive Rock lockten tausende auf den altehrwürdigen Petersberg. Am 23. Juli 2011 fanden sich in den bestuhlten Reihen vor der Bühne unendliche viele Besucher in farbenfroher Gewandung ein. Hofdamen und Ritter, kleine Küchenmägde und Mönche. Es war das reinste Schaulaufen. Ein Genuss für die Augen. Nach dem Öffnen der Tore strömten historisch angehauchte Grüppchen das Gelände und alle suchten nach einem Sitzplatz möglichst weit vorne. Die Venue befand sich beide Male auf dem Platz des Mittelaltermarktes, etwas tiefer gelegen am Petersberg, umgeben von alten Mauern. So konnten die Zaungäste das Treiben von oben beobachten. Auch am 30. Juli – dem Jethro Tull-Abend – stapelten sich die Erfurter hinter den Abgrenzungen, um einen Blick erhaschen zu können. Gar nicht so einfach, wenn man sich nicht gerade einen Platz auf dem Parkplatz über der Venue gesichert hatte. Denn der Rest war mit blickdicht abgeklebten Bauzäunen vor den Blicken von außen geschützt.

Wirklich wusste niemand, wann das Konzert von Blackmore’s Night beginnen würde. Die Wartezeit sollte noch heftig an den Nerven der Besucher zerren. Zumindest der Support sorgte zwischenzeitlich für Unterhaltung – in Person von Spielmann Albert, der später auch im Ensemble von Blackmore’s Night wieder auf der Bühne stand. Auf Flöte und Leier spielte er alte Weisen und interpretierte auch Songs von In Extremo auf seine ganz spezielle Weise. Danach hieß es: Warten. Warten. Warten. Währenddessen hatte man genügend Zeit, sich die Dekoration anzusehen. Der ehemalige Deep Purple-Gitarrist Ritchie Blackmore scheint eine Vorliebe für Lianen aus Plastik zu haben. Vom Bühnendach reckte sich ein kleiner Dschungel gen Boden. Auf der Bühne überall Töpfe mit künstlichen Blumen – nicht jedermanns Geschmack, meiner ganz gewiss nicht. Und während die Zeit verstrich, machte sich langsam ein leises, aber stetes Murren in den Stuhlreihen bemerkbar. Irgendwann, zu fortgeschrittener Stunde, zeigte sich Mr. Blackmore gnädig und betrat die Bühne. Einmal kurz ging er zum Bühnenrand und hob seine Gitarre dem Himmel entgegen. Das war dann aber auch alles an Publikumsnähe, was der Mann sich abverlangte. Eine Band wie Blackmore’s Night, deren Namen schon eng verknüpft mit dessen Gründer ist, hat auch immer mit dem Image des Namensgebers zu kämpfen. Mag der Renaissance Rock noch so großartig sein, ein seltsamer Nachgeschmack bleibt dennoch. Denn auch die kleinen Anekdoten, die Candice Night zum Besten gab und das Strahlen, mit denen sie die Songs performte, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ritchie Blackmore Liveauftritte im Grunde gar nicht mag. Wie sonst kann man sich erklären, dass der Mann sein Set mit verkniffenem Gesicht herunterspielt. Und das, obwohl sich seine Fans Mühe geben – beim Outfit und beim Durchhalten. Irgendetwas Magisches muss die Musik haben. Anders kann ich mir nicht erklären, dass das Konzert ausverkauft war und viele sicherlich glücklich nach Hause gingen.

Wunderbar anders dagegen war der Abend mit Jethro Tull auf dem Petersberg. Der Supporte passte. Die Stimmung passte. Das Wetter nicht, aber Ian Anderson war bestens aufgelegt und ließ seine Fans die herbstlichen Temperaturen und Windböen vergessen. Es war ein Stehkonzert – Gott sei Dank. Bestuhlte Konzerte haben, egal wer der Künstler auf der Bühne ist, immer etwas Einschläferndes. Bardic aus dem hohen Norden eröffneten den Abend und sangen und lachten sich mit ihrer frechen Art schnell in die Herzen der Besucher. Allein mit Gitarre und Violine stand das Duo auf der Bühne und klang ein wenig nach REM. Wunderschön. An diesem Abend sollte die Umbaupause auch wesentlich kürzer sein. Die Bühne fast nackt – keine Dekoration, nur die Instrumente und Verstärker. Nothing else. Kurz nach 20Uhr betrat ein bestens aufgelegter Ian Anderson samt Band die Bühne und versetzte den gesamten Petersberg zurück in eine Zeit, wo alles entspannter und friedlicher ablief. Die 1970er waren förmlich greifbar, dazu der von herrlichen Grimassen durchsetzte Gesang des Altstars und der Abend war ein Erfolg. In Strömen waren die Besucher auf den Petersberg gekommen, fernab im Steigerwald Stadion spielten Unheilig ihr drittes Konzert der laufenden Tour in Erfurt – und man konnte sich sicher sein: Jethro Tull waren an diesem Abend die bessere Entscheidung. Beworben wurde das Konzert mit „Jethro Tull plays Aqualung“ – jenes Konzeptalbum des Briten aus dem Jahre 1971, dass mittlerweile zum Klassiker avancierte und den Querflötenspieler weltberühmt machte. Es macht wahnsinnigen Spaß, Ian Anderson auf der Bühne herumwirbeln zu sehen – im Hintergrund laufen psychedelische Muster auf der Leinwand und beim Blick ins Publikum nimmt man nur selbstvergessene, lächelnde Gesichter wahr.

Das einzig merkwürdige an diesem Abend war der angetrunkene Mann, der mich am Ausgang fragte, ob ich ihm ein Autogramm von ZZ Top besorgen könne, er hätte seine Karte „irgendwie“ verloren und komme nun nicht aufs Gelände. Ah ja.

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