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Manchmal muss Kunst weh tun

Oswald Henke DB (2)Oswald Henke im Interview

15.10.2010 [db] Im Ricarda-Huch-Haus in Jena herrscht an diesem Freitagnachmittag geschäftiges Treiben. Die Anlage läuft noch nicht so, wie sie sollte. Die Bühnenbeleuchtung ist auch noch nicht optimal. Oswald Henke läuft auf und ab vor der kleinen Bühne, auf der verhüllt ein Fallbeil steht. Am Lesungsabend zuvor in Mühlhausen sah man das Fallbeil nicht – jene Lesung war nackt, aber intensiv. Eben anders. Oswald Henke ist mit seiner Lesetour „Fallbeilautorität“ gerade in Thüringen und wir haben uns zu einem Interview verabredet. Henke setzt sich hin, er steht wieder auf, inspiziert die Bühne, geht zurück und entdeckt uns. Es kann losgehen.

HENKE, Goethes Erben, Fetisch: Mensch, das Theaterprojekt „Zeitenwände“, der Film „Osferatu“ und Schuhe – wie viel Henke steckt da drin?

Im Bereich Schuhe bin ich ja nur Markenberater. Da bin ich nicht fest angestellt, ich mache nur Vorschläge, Marketingkonzepte. Das hat mit dem Mensch Henke nicht viel zu tun. Aber es ermöglicht mir, den Rücken ein wenig freier zu haben. Ich muss nicht jeden Monat überlegen, wie ich meine Miete bezahle und die Krankenkasse und dies und das. Das ist schon beruhigend, wenn man ab und an relativ sicher Geld bekommt.

Und alles andere, das Theaterprojekt, der Film, fetisch: Mensch usw. – das ist dann der Mensch Henke, der sich auslebt?

Genau. Und da bekommt man bei einigen Dingen Geld zurück und manche Dinge macht man aus Spaß an der Freude. Einfach aus der Lust heraus, kreativ sein zu können.

Du gibst ja auch Konzerte mit HENKE und fetisch: Mensch, dazwischen Lesungen – kommt man nicht irgendwann durcheinander?

Eigentlich nicht, weil ich das relativ streng trenne. In den Phasen, in denen ich Lesungen mache, gebe ich keine HENKE-Konzerte. Und fetisch: Mensch und HENKE sind auch relativ weit auseinander von den Konzerten. Es funktioniert eigentlich ganz gut. Ich plane auch relativ weit im Voraus wann ein Konzert, wann eine Lesung ist. Ich möchte schon gerne sechs Monate vorher wissen, wann ich wo bin und dann kollidieren die Sachen auch nicht. Es wäre ja auch schlimm, wenn ein Schauspieler in einem Shakespeare-Stück anfangen würde Goethe zu rezitieren. So viel Hirn sollte man noch haben. Wenn ich irgendwann anfangen sollte das auf der Bühne zu verwechseln, dann melde ich mich freiwillig in einer Demenzstation an.

Du hast mir in einem früheren Interview einmal gesagt, dass es in deinem Leben keinen Stillstand gibt – der Zeitpunkt ist auch jetzt noch nicht gekommen, oder? Haben kreative Menschen eher Angst vor Ruhephasen?

Oswald Henke im InterviewJa, ich muss immer etwas tun. Ich bin ein Mensch, der hat nie Langeweile. Ich kann auch Menschen nicht verstehen, die sagen: „Ah, mir ist so langweilig.“ Mir ist nie langweilig. Ich könnte sofort zehn andere Sachen machen. Wenn ich mit einem Projekt fertig bin, dann könnte ich mit dem nächsten weitermachen. Ich habe eher manchmal viel zu viele Sachen in Arbeit. Manche Projekte dauern auch mehrere Jahre, bis sie abgeschlossen werden – oder Monate. Die Phase, das neue fetisch: Mensch-Album zu schreiben, hat Jahre gedauert. Und HENKE hat dieses ganze Jahr benötigt, um die ausreichende Menge an Stücken zu schreiben, dass wir im April nächsten Jahres unser erstes Album veröffentlichen können. Und dann gehen wir auf Tour. Eine Tour zur Veröffentlichung von „Seelenfütterung“. Neun Termine werden wir in Deutschland spielen und einen wahrscheinlich in der Schweiz, eventuell noch einen in Holland oder Belgien.

Von fetisch: Mensch gab es ja keine physikalischen Tonträger zu kaufen.

Das war das Konzept von fetisch: Mensch, das ich mittlerweile als gescheitert betrachte. Es funktioniert auch nicht. Die Leute, die auf Konzerte kommen, hätten gerne etwas in der Hand. Aus diesem Grund werden wir es bei fetisch: Mensch so machen: Das zweite Album, an dem wir gerade arbeiten, wird als körperlichen Tonträger, aber limitiert geben. Auch nur über unseren eigenen Mailorder oder auf Konzerten. Wir geben es nicht in den offiziellen Handel, weil es sich nicht rentiert.

Goethes Erben „Zeitlupe“ habe ich jetzt aber bei Media Markt gesehen.

Genau, das ist ja regulär über Trisol veröffentlicht worden. Der Unterschied ist, dass ich da nicht die Pressung bezahlen muss und keine neuen Tonaufnahmen. Deshalb war das einfach machbar über ein Label. Ich hatte keine Kosten. Wenn ich ein HENKE-Album aufnehme, habe ich erst einmal die Kosten, neue Titel aufzunehmen. Ich habe lange Zeit ein Label gesucht, das das dann gegenfinanziert. Ich habe gesagt: „Ich mache gerne Musik, aber ich bin nicht mehr bereit, dafür zu bezahlen, dass ich etwas veröffentlich kann.“ Muss ich dann auch nicht. Ich habe die Finanzierung vom Label bekommen und kann jetzt mit dem Geld das Album aufnehmen und veröffentlichen. Ich habe das Risiko nicht. Und dann kann ich zufriedener arbeiten. Dann bin ich nicht so sauer, wenn mir wieder alles geklaut wird per Download.

Das hört sich nach einem steten Kampf an, um kreativ sein zu können.

Die Kreativität ist nicht das Problem. Die Problematik ist, dass die Leute inzwischen kaum mehr bereit sind, für irgendetwas Geld zu bezahlen. Die Wertigkeit ist verloren gegangen. Man schätzt es nicht mehr. Wenn ich heutzutage ins Kino gehe, dann sind sofort am Abend fünfzehn Euro weg. Wenn ich dann Cola, Popcorn und den Eintritt zahle. Das zahle die Leute ohne zu murren. Aber wenn ein Konzert dann zwölf oder fünfzehn Euro kostet, wo eine Band sich live einbringt, dann sind sie nicht bereit, mehr Geld zu bezahlen. Oder bei einem Tonträger, der eben auch zwischen zwölf und vierzehn Euro kostet, sind sie nicht mehr bereit, dieses Geld auszugeben. Aber irgendwie muss man es ja rückfinanzieren können. Wenn man Musik macht, dann kostet es erst einmal Geld, wenn man es in einer vernünftigen Qualität aufnehmen will. Man darf auch nicht die Zeit vergessen, die investiert wird. Man schreibt ja nicht von heute auf morgen ein Album. Von irgendwas muss man auch noch leben können. Die Miete muss bezahlt werden. Ich lebe mit Sicherheit nicht in Luxus.

Wenn es nicht funktioniert, dass man das neue Projekt mit den zurückgelegten Einnahmen aus dem vorgehenden Projekt finanziert, dann greift das System nicht mehr. Dann muss man auch nichts mehr veröffentlichen. Dann denke ich mir, da ist kein Bedarf da. Da brauche ich auch nichts mehr veröffentlichen. Mir reicht es, wenn ich Musik mache im Probenraum. Mir persönlich reicht es aus. Ob es den Fans ausreicht, ist dann eine andere Frage.

Was liegt dir mehr – oder besser: worin gehst du mehr auf als Künstler – in der Liveperformance mit Henke oder fetisch: Mensch, als Schauspieler oder als Autor, der seine Zeilen vor Publikum interpretiert? Oder ist es am Ende ein Mix aus allem?

Das ist ganz unterschiedlich. Mir hat auch das Theater spielen sehr viel Spaß gemacht. Wobei mir das Regie führen noch mehr Spaß gemacht hat. Ansonsten ist es nicht zu vergleichen. Die Ansätze sind sehr unterschiedlich. fetisch: Mensch ist eine Band. Das sind alles relativ gleichberechtigte Leute. Bei HENKE bin ich der Chef und das klappt ganz gut. Bei Oswald Henke auf der Bühne bei einer Lesung bin ich allein. Da muss ich keine Rücksicht nehmen. Bei einer Band geht es um Absprachen. Ich kann nicht plötzlich ein Lied über den Haufen werfen  – von den ganzen Strukturen her – da weiß die Band gar nicht, was ich meine. Bei meinen Texten kann ich improvisieren. Ich muss mich mit niemandem absprechen, ich kann einen ganz anderen Text vortragen als ich eigentlich vorhatte. Auch viele Sachen, die ich im Laufe eines Abends erst für mich entdecke: „Das könnte gut passen von der Stimmung her.“ Auf die Stimmung vom Publikum eingehen. Wenn es zu düster wird, bringe ich ein bisschen Humor hinein. Wenn die Leute zu ausgelassen werden, dann muss man etwas Düsteres bringen, damit sie wieder aufmerksam werden.

Bei fetisch: Mensch ist alles sehr dem Sequenzsatz unterworfen, während HENKE live so funktioniert.

Im Magdeburger Sonntag wurde deine Lesung als „skurril“ beschrieben – kommt das dem nahe?

Skurril? Ich weiß nicht, ob ich skurril bin. Ich bin auf jeden Fall anders. Darauf bin ich auch stolz. Ich bin nicht gefällig. Die Lesung tut manchmal auch weh, soll sie auch. Ganz bewusst. Manchmal muss Kunst weh tun. Sie soll auch unterhaltend sein. Es gibt nichts schlimmeres, als wenn man nur ernsthafte Texte hintereinander abbetet. Das langweilt. Ich möchte die Leute auf unterhaltsame Weise mit Seelenaggregatzuständen konfrontieren.

Meine Tochter, die an diesem Tag mitkommen darf, hustet. Oswald Henke sieht sie an und fragt, ob sie ein Twix möchte? Die Kleine schüttelt etwas verängstigt den Kopf. „Nein? Was bist du denn für ein Kind? Du willst keine Süßigkeiten?“, fragt er. Ich erkläre ihm, dass unser Fotograf auf dem Weg hierher meinte, man solle keine Süßigkeiten von Herrn Henke annehmen, die könnten vergiftet sein. Oswald Henke bricht in schallendes Lachen aus. Damit wäre der Ruf perfekt ruiniert und das Bild untermalt. „Willst du ‚ne Banane?“

Entsetzen, Sprachlosigkeit, Freude, Sehnsucht, Angst – all das willst du laut Pressetext provozieren, mit der Macht der Worte spielen. Sind es die heraus gekitzelten Emotionen, die dich reizen? Bist du ein Seelenspanner?

Nee, das sind die Emotionen, die ich beim Schreiben empfunden habe. Und diese versuche ich in Worte zu fassen. Und es sollte dann gelingen, beim Leser, den Spiegel vorzuhalten. Nicht, dass sie es 1:1 empfinden, aber doch nahe herankommen.

Wie gehst du damit um, wenn sich das Publikum nicht so recht aus der Reserve locken lässt?

Muss man nicht. Nicht jeder Mensch will aus sich heraus. Die finden das ganz toll, nur zuzuhören. Das muss man einfach so respektieren. Manche sind auch mucksmäuschenstill und passen auf.

„Goethes Erben sind sprachlos geworden. Ich habe manchmal das Gefühl: Wir können sagen, was wir wollen – es ändert doch nichts. Also schweige ich und sehe, was übrig bleibt.“ (Interview mit Carpe Noctem TV, Juni 2007) Du hast im selben Interview gesagt, dass Goethes Erben erst einmal eine längere Pause von fünf Jahren machen würden. Warum dann die Doppel-CD/ Compilation „Zeitlupe“?

Weil wir eine kleine Zäsur setzen wollten. Einen kleinen Schlusspunkt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir noch einmal ein neues Album unter dem Namen Goethes Erben herausbringen werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir irgendwann noch einmal ein Konzert machen werden. Also Mindy, wenn sie nochmal Lust hat, dann besteht diese Möglichkeit. Mindy und ich sind uns relativ einig, dass wir im Moment beide nichts mehr zusammen zu einem Thema zu sagen haben… auch uns menschlich sehr weit voneinander entfernt haben, wo wir stehen und wo wir auch hingehen im Leben.

Du gehst mit der Schwarzen Szene auch gerne mal hart ins Gericht.

Das hat sie auch verdient.

Prangerst den Szenerassismus an, dem sich viele wahrscheinlich gar nicht bewusst sind.

Man muss es auch mal aussprechen. Viele Leute blicken nicht über ihren Tellerrand hinweg. Es ist doch alles wunderbar. Aber die Szene ist so dermaßen vor die Hunde gegangen in den letzten zwei Jahren. Ich frage, was hat das noch mit dem Lebensgefühl zu tun, dass es eigentlich einmal vermitteln sollte. Es ist nicht mehr vorhanden. Es ist komplett durchkommerzialisiert. Es gibt immer mehr größere Festivals, wo im Zweijahreswechsel immer die gleichen Headliner spielen, was total uninteressant ist für mich. Das brauche ich einfach nicht. Zwei Festivals sind in Ordnung von dieser Größe. Aber dadurch ist die ganze Clubszene kaputt gegangen. Es traut sich ja kaum noch eine Band auf Clubtournee zu gehen. Die Mentalität der Menschen ist: „Ich geh aufs M’era Luna, ich geh aufs Amphi und aufs WGT. Da seh ich sie ja sowieso alle.“ Aber die bekommen da nur Häppchen. Das ist die Büfettmentalität der Menschen. Für wenig Geld ganz viel bekommen können. Die Option zu haben, für wenig Geld ganz viel essen zu können oder zu konsumieren. Sich lieber den Magen verderben und am Schluss nicht mehr wissen, was man eigentlich gegessen hat. Da geh ich doch lieber ganz gemütlich schön Abendessen mit drei Gängen und weiß genau: das gab es als Vorspeise, das war der Hauptgang und das war das Dessert. Und der Wein war köstlich.

Bist du der erhobene Zeigefinger des Gothic?

Nein, das bin ich nicht. Da hab ich keine Lust drauf. Der erhobene Finger soll es nicht sein. Ich beanspruche immer, dass Kunst das Gewissen der Gesellschaft sein sollte. Das ist meine Meinung. Ich vertrete meine Meinung, deshalb werde ich auch immer wieder von Medien geschnitten. Daher finde ich nicht statt in den Medien.

Bei deiner Lesung in Mühlhausen steckte ja der Wurm drin – erst im Stau, dann eine Autopanne – passiert dir sowas öfter? Hast du wirklich Weihwasser aus einer bayrischen Kirche geklaut? Das könnte es ja echt erklären.

[lacht] Darauf gebe ich jetzt keine Antwort. Das darf sich jetzt jeder selbst beantworten.


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