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Bring mich nach Erfurt

Wir sind Helden (5)Wir Sind Helden kommen im Stadtgarten an

22.03.2011 [db] Wie schreibt man über eine Band, mit der man nicht viel anfangen kann? Wie übt man Kritik an einem Konzert, so dass die eigene Abneigung gegen den ständig erhobenen Zeigefinger dieser Künstler nicht doch noch durchscheint? Wie macht man das, da alle Klischees bestätigt scheinen, wenn man am Einlass junge Frauen mit Jutebeuteln und Strickwesten sieht? Dazu noch Nerdbrillen – die ja schick sind – und den unvermeidlichen Anti-Atomkraftballon, der im Saal des Stadtgartens dann die Runde macht und mich die Augen verleiern lässt. Politische Statements an jeder Ecke, sind sie nicht auf Jutebeuteln aufgebügelt, dann fliegen sie umher. Fein. Ich will nach Hause. Ich bin in Erfurt, an einem Dienstagabend im März. Über wen ich hier schimpfe? Über die Helden.

Über „Wir sind Helden“. Seit der Single „Guten Tag“ anno 2003 wurde es Helden-Frontfrau Judith Holofernes nicht leid, den Konsum, die Medien, die Musikindustrie und weiß der Geier was anzuprangern. Diese ständige hochgezogene Augenbraue des Besserwissens geht dem ein oder anderen gewaltig auf den Keks. Ich zähle mich da gerne dazu. Musik kann ernste Töne haben, Musiker können ihre Bühne für politische Ansagen nutzen, können sich für Projekte einsetzen und Organisationen unterstützen. Gerne. Unbedingt! Aber dieses intellektuell stilisierte Gejammer ist dann doch zu viel. Erfrischend hingegen war die erste laute Wortmeldung von Frau Holofernes nach der selbstverordneten Pause, der ersten wirklich langen „nach sieben Jahren des Draußen-in-der-Welt-Seins“ in der die Helden gesucht haben: „Nach neuer Musik, neuen Begeisterungen. Und natürlich nach Wahrheit und Tiefe und Größe, Weltformel, Kindergarten- und Fahrradstellplätzen etc.“ Klingt gut. Wenn das erste Lebenszeichen dann gleich eine schallende Ohrfeige an die Bild-Zeitung wird, dann umso besser. Also was mach ich? Geh ich vorurteilsbeladen zum Konzert oder schiebe ich das alles beiseite und betrachte die Helden einfach nur als Vertreter der Neuen Neuen Deutschen Welle? Ja, zweimal „Neu“. Als ich dann die Erfahrung mache, dass auch Heldenfans schubsen und drängeln, fühle ich mich fast schon wohl.

Akkurat zerwuschelte Kurzhaarfrisuren mischen sich mit schon benannten Strickwesten, Jutetaschen und Turnschuhen. Ich erlebe zum ersten Mal, dass in der Venue das Rauchverbot eingehalten wird. Und der Anti-Atomkraftluftballon fliegt seine Kreise. Das ist die Neue Neue Deutsche Welle. „Dein Soundtrack für dieses Jahr“, singen mir die drei Jungs von EMMA6 entgegen. Klingt beim Opener eher wie der Soundtrack für einen Grillabend am Baggersee. Aber die Kölner machen Spaß und klingen unverkrampft. “Ich hätte die Titanic umgelenkt und dafür Celine Dion versenkt” – geh ich mit, durchaus. EMMA6 klingen unbekümmert und frisch, obwohl es solche Rock-/Popformationen zur Genüge gibt. Es ist echt ein gutes Zeichen, dass sie bei ihrem zweiten Song noch meine Aufmerksamkeit haben.

Eine Ukulele, ein Alphaville-Klassiker und eine Frau im Scheinwerferlicht. Judith Holofernes singt „Forever young“ an. Und hat die Aufmerksamkeit der Fans. Was beinahe unplugged beginnt, entpuppt sich als Konzert, das mir wider Willen gefällt. Die Helden sind gut drauf. Frau Holofernes lacht entspannt und hat keine hochgezogenen Augenbrauen. Sie tanzt über die Bühne, sie will den errichteten Festivalgraben mit Liebe und Zuneigung überbrücken. „Ein Clubkonzert mit Festivalgraben. Das Beste aus beiden Welten“, meint sie und Schlagzeuger Pola Roy wirft ein, vielleicht müsse man vor den Erfurtern beschützt werden. Gefährlich sind sie, vielleicht. Ja, das sind sie in der Tat. Gefährlich nahe dran, ihre Stimmen zu verlieren. Kreischen können Fans jeglicher musikalischer Couleur und die Helden-Fans können das ausgesprochen gut. Das neue Album von Wir sind Helden heißt „Bring mich nach Hause“ und an diesem Abend lautete das Tourmotto „Bring mich nach Erfurt“ – ich denke mir, angesichts des vollen Saals im Stadtgarten konnte sich die Band wie zu Hause fühlen. Auf jeden Fall. Und sie haben mich mit ihrer Performance für den ein oder anderen erhobenen Zeigefinger versöhnt. Am Ende sind sie nur eine Band. Mit Schmackes.

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