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Ein Adliger im Wandel der Zeit

Unheilig: „Lichter der Stadt- Letzter Halt“ Tour 2013 in Erfurt

22.02.2013 [db]  Schnee liegt über Erfurt und in der Messehalle stimmt der Graf „Winter“ an und tausende Hände winken im Takt, tausende Stimmen vereinen sich zu einem Chor. Fast glaube ich mich an das Erfurter Konzert 2010 in der Thüringenhalle erinnert. Doch inzwischen hat sich einiges verändert. Mit dem Album „Große Freiheit“ läuteten Unheilig ein neues Kapitel in ihrer Karriere ein. Die Halle tauchte sich in dezentes Schwarz und über allem lag der unausweichliche Duft nach Patschuli. Der Graf war schwarz. Er war eine Konstante der Szene. Doch er hatte plötzlich kommerziellen Erfolg, womit viele Fans der ersten Stunde nicht zurechtkamen. Die schwarze Basis jedenfalls war noch da. Sie wurde aber bunter. Mit den Jahren immer mehr. Was davon übrig blieb, sah ich diesem Freitagabend in der Messehalle. Kaum etwas. Ein Graf-Double und eine Handvoll Mädchen in Korsagen und ausufernden Röcken. Der Rest war neu. Kein modrig-süßlicher Geruch, der alles einrahmt. Dieser Duft ist verschwunden.

Unheilig haben sich eine neue Fanwelt erschlossen. Da mischen sich jetzt Kinder mit Großeltern, Endvierziger und Mittdreißiger im Zuschauerraum, die mit dem Wort „Goth“ nicht allzu viel anfangen können. Sie gehören keiner Szene mehr an. Sie sind einfach da. Sie sind Fans. Sie haben eine Band für sich entdeckt, dank Auftritten bei Frühstücksshows und auch Schunkelsendungen, die das Projekt „Unheilig“ massenkompatibel und sehr erfolgreich gemacht haben. Und man kann über den Mann, der hinter diesem Projekt steht, sagen, was man will. Er hat sein Publikum im Griff. Er weiß um die Macht der Inszenierung, der kleinen und großen Geste und er weiß verdammt gut, dass seinen Songs ein Pathos innewohnt, der anspricht und träumen lässt. Damals, als er noch weiße Kontaktlinsen und lange Fingernägel trug, ebenso wie heute, wo er familientauglicher scheint. Kein anderer Künstler wurde in den letzten Jahren so sehr für seinen Erfolg kritisiert wie er. Kein anderer Künstler schafft es dennoch, die Hallen zu füllen und die Menschen zu begeistern. Es sind jetzt andere. Ja. Aber sie auch sie schließen verträumt die Augen, wenn sie „Geboren um zu leben“, „Unter deiner Flagge“ oder „An deiner Seite“ mitsingen.

Inzwischen haben Unheilig zwei Vorbands im Programm. An die großartigen Apoptygma Berzerk, die auf der „Große Freiheit II“-Tour 2011 dabei waren, kommt für mich aber leider keine heran. An diesem Abend bereiteten „Staubkind“ und „F.R.E.I.“ die Bühne. Gefangene im Moment waren die Fans allerdings erst, als nach einem langen Intro mit Hans Albers‘ „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, die großen Lichter angingen, der Graf nach vorne stürmte, die Arme ausbreitete und  sich auf die ihm ganz eigene Art in die ersten Takte hineinzappelte. Alles wie beim Alten und doch irgendwie Neu. Ein Unheiliger bleibt er. Das kann ihm niemand nehmen. Begeistern wird er auch in Zukunft. Neue Ohren, neue Herzen. Auf zu neuen Ufern. Das wird für den Menschen hinter dem Künstler nicht ohne ein weinendes Auge von statten gegangen sein.

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