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„Erfurt, darf ich bitten?“

Roger Cicero und Big Band bringen jazzaffines Publikum zum tanzen

29.10.2014 [nm] In den Genuss von Jazzmusik kommen Liebhaber dieser Musikrichtung in Erfurt eigentlich nur in kuscheligen kleinen Kneipen, wo man bei einem Bier oder Wein gemütlich den Feierabend ausklingen lassen oder die Feiertage und das Wochenende genießen kann. Nicht zu vergessen sind natürlich die Jazztage, das Weinfest, die Fête de la Musique oder das Krämerbrückenfest, wo Musiker aus Nah und Fern auf kleinen Bühnen Hunderte begeistern. Am Mittwochabend wäre aber jede Kneipe in Erfurt aus allen Nähten geplatzt und auf einer kleinen Bühne wäre einfach nicht genügend Platz gewesen – Denn Roger Cicero und seine mehrköpfige Big Band hatten mit ihrer „Was immer auch kommt“-Tour tausende Jazz-Fans angelockt. So wurde kurzerhand die Messehalle zum Tanzclub. Zwar blieben einige Plätze frei, aber weder die Musiker, noch das Publikum zeigten sich davon sichtlich beeindruckt.

Licht aus, Spot an! Die ersten Töne von Saxophon, Piano, Flügelhorn und Co. breiten sich in der Halle aus. Die Leute in den vordersten Reihen klatschen. Ein Jubelschrei von der Tribüne durchzuckt die Körper. Dann schleicht er sich ganz langsam von hinten auf die Bühne – Der Mann mit Hut, geschniegelt und gebügelt von Kopf bis Fuß. Im eleganten schwarzen Anzug und fein polierten Schuhen, kombiniert mit einem lässigen T-Shirt, singt Roger Marcel Cicero Ciceu, kurz Roger Cicero, seine ersten Worte ins Mikro. Dann breitet er die Arme aus und steigt die mitgebrachte große Showtreppe hinab. Warmer Applaus empfängt ihn.

Und wer jetzt noch nicht von selber mit klatscht oder mit schnippt, den bringt Cicero, der über die Bühne tänzelt und dabei mit dem ganzen Körper wippt, mit Leichtigkeit dazu. Links und rechts von der Bühne hält es die Ersten nicht mehr auf den Stühlen. Der Rest scheint schon mit dem ersten Titel das Tanzen im Sitzen für sich entdeckt zu haben. „Ein jazzaffines Publikum, ich bin begeistert“, freut sich der breit grinsende Musiker mit den rumänischen Wurzeln. Doch da geht noch mehr! „Erfurt, darf ich bitten?“, schallt es durch die Halle. Und, das Publikum lässt sich nicht lange bitten. Die halbe Halle springt sofort auf. Im Stehen swingt und groovt es sich gleich viel besser.

Zum vorletzten Konzert seiner monatenlangen „Was immer auch kommt“-Tour hat der Mann mit den rehbraunen Augen und dem Kinn-Bärtchen viele selbst geschriebene Songs seines aktuellen gleichnamigen Albums mitgebracht. Mit der neuen Platte verarbeitet er die Trennung von seiner langjährigen Partnerin und Mutter seines Sohns. So singt Cicero mit dem Titel „Straße“ davon, wie er morgens aufwachte und die Geliebte an seiner Seite plötzlich nicht mehr da war. Schon lange hatte sie die Koffer gepackt. Mit dem Song „Endlich wieder frei“ zeigt er seinen Fans auf seine Weise, wie er nach Wochen der Traurigkeit doch die Freude wiederfand. Sich endlich wieder rasierte, joggen ging, sich ins pulsierende Leben zurückkämpfte – sich wieder frei fühlte. Und in „So sieht man sich wieder“ beschreibt Cicero die erste Begegnung mit dem neuen Partner seiner Ex und dessen Kindern. In dieser Situation merkt er, dass die Familie selbst in Zeiten der Trennung expandiert. Mit dem ersten, wie Cicero so schön singt, „Flickenteppich-Rendevous“ beginnt die Patchwork-Familie zu wachsen. Und es scheint dem Verlassenen immer weniger auszumachen. Auch der Mann, von dem Cicero singt, hat noch am gleichen Abend ein Date, was im Bett endet.

Nach den leicht traurigen, nachdenklich machenden Titeln voller Liebe und Herzschmerz spielen Cicero und seine Big Band, die schon 10 Jahre lang gemeinsam Musik machen und schon fünfmal zusammen getourt sind, auch ältere, fröhlichere Songs. So erklingt schließlich der Titel „Frauen regieren die Welt“, mit dem Roger Cicero am 8. März 2007 den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest gewonnen und schließlich am 12. Mai des gleichen Jahres Deutschland beim Eurovision in Helsinki vertreten hat. Damals landete der heute 44-Jährige auf dem 19. von 24 Plätzen und bekam gerade mal 49 Punkte. Das ist (fast) vergessen. Beim Publikum in der Erfurter Messehalle ist er die Nummer 1 und bekommt für sein vorletztes Konzert der monatelangen Deutschlandtour volle Punktzahl. Minutenlanger Applaus. Standing Ovations.

Bei den älteren schon bekannteren Songs, wie „Frauen regieren die Welt“, „Zieh die Schuhe aus“ oder „Ich atme ein“, geht im großen Tanzclub richtig die Post ab. Bei den Zugaben wird dann auch nicht mehr nur am eigenen Platz oder im Gang mitgetanzt und mitgesungen. Nein, jetzt schiebt sich die jubelnde Menge immer dichter an die Bühne. Ein Alptraum für jeden Security! Aber eine große Freude für Roger Cicero und seine Big Band, die mit schnellen Nummer und flotten Improvisationen nochmal einen drauf packen. „Kommt alle nach vorne“, ruft Cicero bis in die hintersten Reihen und auf die Tribüne. Fast alle folgen seinem Wunsch.

So muss das auch sein. Man muss Freude am Leben haben „Was immer auch kommt!“ nach einer gescheiterten Beziehung und dicken Wolken am Beziehungshimmel kommt die Sonne wieder. Irgendwann. Roger Cicero singt davon, wie er es geschafft hat. Alle, die selbst noch nicht so weit sind, sind zumindest für einen Abend abgelenkt vom Herzschmerz. Und wer weiß, vielleicht sitzen genau diese Leute schon beim nächsten Jazzkonzert von Roger Cicero und seiner Big Band in der Messehalle nicht mehr allein, sondern zu zweit im Publikum.

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