Open Flair 2022
21.08.2022 [al] Endlich wieder Open Flair! Das dachten sich vermutlich und auch glücklicherweise viele Fans dieses wunderbaren Festivals mitten im hessischen Eschwege. So konnten die Veranstalter kurz vorher sogar “ausverkauft” melden. Fünf Tage lang verwandelten Musikbegeisterte aus ganz Deutschland wieder das beschauliche Städtchen in eine große Festivalzone. Überall hörte man die Leute sagen, wie sehr sie sich freuen, wieder zurück zu sein: viele kommen seit Jahren oder sogar Jahrzehnten hierher. Das Open Flair hat sich, trotz seiner Größe von rund 20.000 Besuchern, immer noch den Ruf bewahrt, irgendwie etwas ganz Besonderes, etwas Familiäres zu sein. Das kann ich so nur unterstreichen, zieht es mich – anfangs privat – auch seit gut 15 Jahren immer wieder am zweiten Augustwochenende nach Eschwege.
Tag 1 – Die Seebühne wurde am Mittwoch von den Decent Romantics eröffnet, einer jungen Band aus Kassel, die sich mitten im ersten Pandemiewinter 2020 zusammenfand. Im Gepäck hatten sie eigene Songs sowie ein Milliarden-Cover. Nach kurzer Umbaupause übernahmen Youth Okay die Bühne. Dieser Auftritt war etwas ganz Besonderes sowohl für die Band als auch ihre Fans: es sollte der letzte Festivalauftritt gewesen sein, da sie sich Ende des Jahres auflösen werden. Die Band hatte sich erst Ende 2018 aus Naked Superhero gegründet, welche 2018 noch auf der Freibühne beim Open Flair spielten. Der diesjährige Auftritt wurde von einem tanzenden und feiernden Publikum begeistert aufgenommen und auch ein Bad in der Menge von Sänger Daniel blieb nicht aus. Als der letzte Ton verklungen und die Band sich von ihren Fans verabschiedete, war deutlich zu spüren, dass dies kein einfacher Schritt ist. Wer möchte, kann die Musiker im Herbst/Winter auf ihrer Abschiedstour ein letztes Mal live sehen.
Erster großer Publikumsmagnet des Tages waren definitiv Die Orsons. Vom ersten bis zum letzten Ton waren die Fans am Tanzen, Mitsingen und Ausrasten. Die Rogers feiern in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bühnenjubiläum und bereits vor 8 Jahren bespielten sie das Open Flair erstmals. Mittlerweile haben die Düsseldorfer Punkrocker vier Alben im Gepäck und so durfte dann auch ihr Hit “Mittelfinger für immer” nicht fehlen. Massendefekt, die es bereits seit über 20 Jahren gibt, spielten hingegen schon einige Male auf dem Open Flair und so wunderte es nicht, dass die Stimmung entsprechend ausgelassen war.
Tag 2 – Der Donnerstag startete direkt mit einem Auftritt von Chaosbay, der vermutlich härtesten Band des Tages. Sie hatten einige neue Songs dabei, die sie hier zum ersten Mal live spielten. Das gefiel dem Publikum. Kontrastreich ging es mit dem nächsten Künstler weiter: Fatoni übernahm die Bühne und das Publikum rastete ab der ersten Minute aus. Zur Akustikversion von “Lassen Sie mich Künstler, ich bin durch” stand Fatoni nur mit seiner Gitarre auf der Bühne, bevor er anschließend wieder mit Vollgas los legte und alle Mädels zum Circlepit aufforderte. Auch wenn sich das Infield zum Auftritt von Boppin’ B etwas lichtete, der Stimmung tat es dennoch keinen Abbruch. Die 5 Musiker aus Aschaffenburg sorgten für ausreichend Action auf der Bühne. Besonders Kontrabassist Didi Beck legte sich mächtig ins Zeug, das Publikum zu animieren: das Instrunment wurde beklettert und durch die Luft geschwungen. Mit den abschließenden “Tainted Love” und Depeche Modes “Enjoy the Silence” kochte die Stimmung.
Die Umbaupausen auf der Seebühne wurden mittlerweile von den Bazzookas aus den Niederlanden gefüllt. Sie platzierten sich mit ihrem Bus auf dem Gelände und sorgten ordentlich für Stimmung, denn der Rhythmus ging ins Blut und die Musik definitiv in die Beine. Insgesamt viermal spielten sie an diesem Abend.
Leider blieben einige Corona-bedingte Programmänderungen nicht aus und so drehte sich das LineUp Karussell. The New Roses enterten die Bühnenbretter statt der ursprünglich geplanten Thundermother. Die Festivalbesucher fanden sich trotzdem in Massen ein und genossen die gehörige Portion handgemachten Rock. Im Anschluss daran spielten Clutch: eine Band, die während des Konzerts völlig ohne Schnörkel auskommt. So unscheinbar der Aufgang auf die Bühne war, so unscheinbar auch der Abgang. Dazwischen allerdings gaben sie Vollgas. Ohne Selbstdarstellung und Showeinlagen stellten sie komplett ihre Musik in den Vordergrund und wurden hierfür vom Publikum gefeiert. Ferdinand fka Left Boy zählt sicher zu den Phänomenen, die man nicht unbedingt verstehen muss. Fakt ist aber: der Ausnahmekünstler aus Österreich, der zuvor als Left Boy die Musiklandschaft aufwirbelte, wusste, wie er seine Fans begeistern kann. Die wieder einmal fantastischen Security der Stageline Crew taten ihr Übriges und feuerten Federn und Konfetti ins Publikum.
Tag 3 – Dritter Tag und leider auch schon Halbzeit: das Hauptgelände am Werdchen mit Radio Bob!- und Freibühne wurde eröffnet. Erste Band auf der Hauptbühne zu sein, kann eine ganz schön große Herausforderung sein, aber Coperniquo meisterten sie bravourös. Etwas emotional wurde es, als sie einem verstorbenen Freund ein Lied widmeten. Ein musikalisch komplett anderer Programmpunkt wurde im E-Werk direkt neben dem Hauptgelände mit dem Auftritt der südafrikanischen Künstlerin Adelle Nqeto geboten. Gemeinsam mit ihrer dreiköpfigen Band (Schlagzeug, Saxophon und Cello) spielte die sympathische Sängerin, die aktuell in Berlin lebt, wunderbar tanzbare Musik. Mit geballter Frauenpower ging es dann auch auf der Freibühne weiter. Deine Cousine sorgte von Anfang an für viel Bewegung im Publikum. Im September erscheint das neue Album, von dem sie den Song “stärker als du denkst” präsentierte. Milliarden spielten bereits letztes Jahr beim verkleinerten Insel Flair. Dieses Jahr war es dann wieder die große Bühne.
Kurzer Wechsel zur Seebühne: hier spielten die noch sehr jungen Musiker von One Tape. Neben eigenen Songs präsentierten sie auch einige Coverversionen, wie beispielsweise “Hallo” von den wunderbaren Heißkalt oder auch “meine kleine Schwester macht Randale in der Stadt” von Kraftklub. Das Publikum, welches sich leider noch nicht so zahlreich an der Seebühne eingefunden hatte, feierte die junge Band dafür. Bei 100 Kilo Herz füllte sich der Platz vor der Bühne und Bengalos wurden gezündet. Neben eigenen Songs überzeugten auch sie mit beispielsweise einem Cover von “Denkmal” (Original von Wir sind Helden).
Zurück am Hauptgelände spielte Nathan Gray, auch als Frontmann der US-amerikanische Post-Hardcore-Band Boysetsfire bekannt. Mit pinkem T-Shirt, Strümpfen und Mikro kokettierte er auf der Bühne, tanzte und sang. Zwischen den einzelnen Songs aus seinen drei bisher erschienenen Solo-Alben richtete er immer wieder sehr sympathische und auch liebens- und lebenswerte Worte an sein Publikum.
Ganze 12 Jahre musste das Open Flair auf eine Rückkehr der US-amerikanischen Band The Gaslight Anthem warten, welche einen ihrer wenigen Auftritte dieses Jahr in Eschwege absolvierte. Es war eine fantastische Show, voller Energie, Spielfreude und einem begeisterten Publikum. AnnenMayKantereit gehören mittlerweile zu den Größen der deutschen Musiklandschaft. Besonders die einzigartige Stimme von Sänger Henning May trug vermutlich zum Erfolg bei. Zu ihrem Auftritt holten sie sich instrumentale Verstärkung auf die Bühne: neben Bassistin Sophie Chassée waren nun je 4 Streicher und 4 Bläser dabei. Während der gut anderthalbstündigen Show spielte die Band auch ein kurzes Set auf einem kleinen Podest im ersten Wellenbrecher.
Tag 4 – Insgeheimer Headliner eines jeden Open Flair-Festivals sind wohl unumstritten die Monsters of Liedermaching, welche auch direkt mit “Headliner, Headliner”-Rufen empfangen wurden. Sie sind einfach eine Institution, gehören zum Open Flair, wie die Pommes zur Currywurst. Sie könnten vermutlich auch Sonntag morgens 8:30 spielen und der Platz wäre voll. Mit ihren nicht ganz ernstzunehmenden Texten brachten sie das gesamte Werdchen zum Mitsingen. Ash übernahmen auf der Freibühne. Ich hatte das Gefühl, dass sich Band und Publikum erst einmal aufeinander einspielen mussten, aber dann hat es wunderbar funktioniert. Ich muss ja auch gestehen, dass ich garnicht wusste, dass es die Band noch gibt. Einen ihrer frühen Hits “Girl from Mars” brachten sie dann als vorletzte Nummer des Sets und spätestens jetzt erinnerten sich wohl so manche Besucher an ihre Jugend in den 90ern.
Besonders viel weibliches Publikum versammelte sich dann an der Hauptbühne zum Auftritt von Kontra K. Sehr zur Freude der Fans zog er irgendwann auch sein Shirt aus und performte mit freiem Oberkörper. Der Berliner Rapper lieferte eine gelungene Bühnenshow mit viel Feuer, Konfetti und einem imposanten Bühnenbild. Das Publikum dankte es ihm mit jeder Menge guter Laune, Ausgelassenheit und Circlepits. City Kids Feel The Beat starteten direkt energiegeladen auf der Bühne. Besonders Sänger Sven Simmendinger sprang und tanzte sich fast um Kopf und Kragen. Für mich heimatliche Klänge zogen dann beim Auftritt von Clueso über das Festivalgelände. Der Erfurter Musiker begeisterte das Publikum mit alten und neuen Songs. Direkt zu Beginn gab er “Keinen Zentimeter” zum Besten, aber auch “Cello” oder der Klassiker “Chicago” durften nicht fehlen. Verabschiedet wurden die Fans dann mit “Freidrehen”.
Apropos Klassiker: Selig spielten als nächstes auf der Freibühne. Im Baumkreis vor der Bühne hatte sich der Altersdurchschnitt spürbar angehoben, aber genau das ist ja auch das Wunderbare am Open Flair: hier ist jeder Willkommen, groß oder klein, jung oder alt, Hip Hopper oder Punkrocker. Und alle feiern sie gemeinsam. Biffy Clyro bildeten den Abschluss an diesem Abend auf der Radio Bob!-Bühne. Mit toller Show, viel Energie und guter Musik bewiesen sie, warum sie zurecht einer der Headliner des diesjährigen Festivals waren.
Ein letzter Wechsel zur Seebühne, bevor sie dieses Jahr schloss: Swiss & die Andern gaben sich die Ehre und haben der Seebühne wirklich einen gebührenden Abschluss verpasst. Die Stimmung war von der ersten Sekunde an am Kochen, es flog Konfetti, Leute eskalierten. Herrlich. Ferris, der bereits am späten Nachmittag solo auftrat, kam im Laufe der Show zur Unterstützung auf die Bühne.
Tag 5 – So sehr man sich auf das Open Flair freut, wird einem sonntags immer wieder klar: Mist, das waren schon 4 Tage? Heute ist tatsächlich der Letzte? Aber auch an diesem extrem warmen fünften Tag wartete das Programm nochmal mit etlichen Highlights auf. Mein ganz persönliches Sahnehäubchen – die Emil Bulls aus München. Keine Band hab ich live öfter gesehen und so freute es mich sehr, dass viele Fans dem frühen Ruf der Radio Bob!-Bühne folgten und für einige Mosh- und Circlepits sorgten. Ein herrlicher Anblick. Die obligatorische Wall of Death zum Abschluss bei “Worlds Apart” durfte natürlich auch nicht fehlen. Allerdings gefehlt hat leider Bassist James Richardson, der aus gesundheitlichen Gründen die Festivalsaison nicht mitspielt.
Kopfecho spielten, wie einige andere Bands des aktuellen Jahres, bereits im letzten Jahr auf dem Insel Flair. Schon da wusste die Band rund um Sängerin und Wirbelwind Amy zu überzeugen und sie ließ sich ein Bad in der Menge nicht nehmen. Bereits zum vierten Mal waren Skindred auf dem Open Flair. Ihre Auftritte sind ein Garant für ausgelassene Stimmung.
Fever 333 gehörten zu den Bands, die ich vorher noch nie live gesehen hatte, ich mir allerdings einiges von ihrer Show versprach. Wie extrem krass, wild und durchgeknallt es allerdings tatsächlich herging, muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Da waren so viel Energie und Verrücktheit auf der Bühne. Zum krönenden Abschluss kletterte Gitarrist Stephen Harrison ungesichert das Gerüst der Videoleinwand hoch. Da ist vermutlich jedem kurz die Spucke weggeblieben. Ich sag ja: völlig verrückt.
Weniger verrückt und musikalisch in eine ganz andere Richtung gehend, war das Konzert der Folk-Punk-Rock-Band Flogging Molly. Ihnen gelingt ein guter Spagat zwischen irischer Musik und den härteren Tönen. Und so begeisterten sie das Eschweger Publikum. SDP bildeten den Abschluss des diesjährigen Open Flair-Festivals. Auf dem Platz vor der Hauptbühne versammelten sich noch einmal alle Flair-Gänger und feierten mit den beiden Sängern. Zum Finale gab es dann noch das Abschlussfeuerwerk.
Ich bin unendlich froh und glücklich, dass mein Lieblingsfestival dieses Jahr endlich wieder unter (zumindest nach außen) normalen Bedingungen stattfinden konnte. Es hat die letzten beiden Jahre doch wirklich gefehlt. Ich freue mich schon auf 2023 und darauf, all die verrückten Leute wiederzusehen und viel wunderbare Musik auf die Ohren und tolle Shows vor die Augen zu bekommen.
Merci, dass es dich gibt. ❤️