Durchatmen vor dem Open Air-Kracher im Sommer
In Vollendung. 15 Jahre lang. In Extremo.
05.05.2010 [red] Dienstagabend klingelte unser Telefon. Micha sei morgen in der Stadt, ob wir ihn noch einmal interviewen wollten. Das 15jährige Jubiläum von In Extremo steht vor der Tür und der Frontmann der Truppe kam entspannt mit dem Zug nach Erfurt, um einen Interviewmarathon zu absolvieren. Da reihen wir uns doch gerne ein. Als wir auf dem Domplatz eintreffen, strahlt die Sonne und das Eis lockt. Kurze Zeit später schlendert er uns entgegen. Micha alias Das Letzte Einhorn wirkt sehr entspannt. Lachfältchen kringeln sich um seine Augen. Die Blicke einiger Passanten, die ihn erkennen, stören ihn nicht, ihn anzusprechen traut sich niemand. Also können wir ihn überschütten mit Fragen. „Was machen wir jetzt?“, fragt er und liefert die Antwort gleich mit – „Was trinken.“ Vielleicht kann man ihm dann den Schal abschwatzen, den er locker um den Hals trägt. Ein schönes Stück Stoff. Also schlendern wir Richtung „double b“ und lassen uns dort im Biergarten, direkt neben dem Spielplatz nieder. Latte Macchiato, Bier, Wodka, Wasser. Es kann losgehen.
Die Akustiktour „Tranquilo“ haben sie beendet. Jetzt geht der Blick nach vorn Richtung Jubiläum. Doch wie fällt das Resümee aus? – „War Hammer. Du hast es ja gesehen.“ Ja, in Gotha haben die Sitzreihen gebebt. Keine Spur von akustischer Ruhe. In Extremo rocken selbst dann, wenn sie sich musikalisch in ruhigere Gefilde begeben. „Die Akustiktour war sehr schön. Kann ich nicht anders sagen.“ Und dass, obwohl sie die Akustiktour eigentlich nicht machen wollten – denn dahinter steckte der Ehrgeiz die alten Songs nicht akustisch zu kopieren, sondern neu und dem Lied gemäß zu arrangieren. Wie gut das funktioniert hat und dass sich die Mühe letzten Endes gelohnt hat, konnten die Musiker jeden Abend aufs Neue erleben, wenn sie vor wollen Häusern spielten. Doch dieses Kapitel ist jetzt abgeschlossen. Der Fokus liegt nun auf dem Großereignis im Juli. Und dabei sind In Extremo selbst nicht einmal die dienstälteste Band beim eigenen Open Air – Oomph! und Fiddler’s Green sind schon zwanzig Jahre dabei und werden sie dabei als „Support Act“ unterstützen. Wobei man bei diesen großen Namen, die sich in der Running Order wiederfinden nicht von Vorbands sprechen kann, sondern eher von befreundeten Bands, die dabei sein sollten und wollten.
Bei In Extremo hat man das Gefühl, dass sie schon sehr viel länger dabei sind. „Echt? Hm, wir waren halt viel präsent.“ Wie ist der Bandname damals eigentlich entstanden? Kann man sich nach 15 Jahren noch daran erinnern? „Das ist ganz einfach. Ich hab in ein Lateinbuch geguckt. Das heißt übersetzt ‚In Vollendung‘ oder ‚endlich sind sie da‘. Am anderen Morgen bin ich damit aufgewacht und habe es den anderen vorgeschlagen. Und das ist es.“ Manch einer interpretiert den Bandnamen gerne mit der Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz. Micha lacht: „Zwischen Frühstück und Gänsebraten.“ Da gibt es für die Band keinen Unterschied, ob sie nun auf einem Mittelaltermarkt auftreten oder bei Stefan Raab. „Wir waren auch bei Viva Interaktiv und schämen uns nicht dafür.“ Warum sollte man die rar gesäten Möglichkeiten, sich einer breiteren Masse vorzustellen nicht wahrnehmen. „Wer so etwas verneint, der soll seinen Neid im eigenen Keller ausleben.“ Bands aus dem Mittelalterumfeld, Metalbands und jene aus der Schwarzen Szene haben es da ohnehin schwer. Sie gehören nicht zu den 40 Acts, die permanent auf Rotation sind. Wie schafft man es dann mit einem Album wie „Sängerkrieg“ auf Platz 1 der Charts zu schießen, wenn man von den Radiostationen und TV-Sendern weitestgehend ignoriert wird? „Das fragen sich viele Bands. Warum kann ich dir nicht sagen. Das ist die deutsche Medienlandschaft, die nach wie vor verschlossen durch die Welt geht und alte Strukturen, die da immer noch hausen. Keine Ahnung. Wenn sie uns spielen, freuen wir uns, wenn sie uns nicht spielen, können sie uns weiter am Arsch lecken. Punkt.“ Seltsamerweise sind Bands wie In Extremo langlebiger und erfolgreicher als Künstler, die im Radio gepuscht werden. Radio ist eben nicht alles. Und setzt keine Trends, von denen es auch gar nichts weiß.
Zurück zum Jubiläumsfestival. Neben dem Open Air und den After Show-Parties, auf denen die Band selbst auch das ein oder andere Glas Bier trinken will, wird es noch einen kleinen Mittelaltermarkt geben. „Der wird für alle Bürger der Stadt kostenlos zur Verfügung stehen. Das spendieren wir einfach mal der Stadt, weil sie uns nichts spendiert hat“, so Micha. Finanziert aus eigener Tasche. „Da gibt es Veranstalter wie Appel & Rompf, die reißen sich den Arsch für uns auf. Wir holen einen großen Event nach Erfurt, organisieren noch einen Mittelaltermarkt und die Stadt tut eigentlich gar nichts für uns. Die sollen sich schämen. Aber es wird eine schöne Party. Auch ohne die Stadtväter.“ Die Organisation geht im Hintergrund in den Endspurt. Es werden zwischen 8.000 bis 10.000 Besucher erwartet – nicht nur aus ganz Deutschland, sondern europaweit haben sich Fans angekündigt. Busshuttle sind organisiert zum Alperstedter See, wo die After Show-Parties steigen werden. „Wir haben da Busse von A nach B, von Z nach J.“ Die Bands für die Party nach der Party werden mehr und mehr. Dass Macbeth und Grüßaugust (hervorgegangen und neuformiert aus The Inchtabokatables) im Centrum spielen werden, steht bereits fest. Dass die Sonne scheinen wird, hoffen alle. Das Tuch hat er übrigens behalten.
Die Running Order „Wahre Jahre“ und weitere Infos rund um das zweitägige Spektakel im Juli gibt es unter www.wahre-jahre.de