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Liebe auf der Bühne

Herbstlese Erfurt 2009: Jazz Lyrik ProsaJazz Lyrik Prosa zur Erfurter Herbstlese im HsD

07.10.2009 [ak] Die Gedanken bei dem Wort Jazz sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Nur eine Sache dürfte bei den meisten ähnlich sein: Jazz ist anstrengend und Jazz ist nicht tanzbar. Zugegeben, leichte Kost ist diese Musik nicht, aber das Zuhören wert. Am Dienstag, dem 7.Oktober gab es im Haus der sozialen Dienste, dem ehemaligen Gewerkschaftshaus in Erfurt, eine Veranstaltung der ungewöhnlichen Art: „Jazz Lyrik Prosa“ hieß sie und stammte aus der Feder der Herbstlese und der Erfurter Jazzmeile.

Der Name war Programm: in den Zuschauerreihen saßen meist ältere Besucher, worauf ich später noch einmal zu sprechen komme. Zwei Männer und Frauen betraten die Bühne. Die Frauen trugen schwarz mit roten Accessoires als Farbtupfer, die Männer waren etwas legerer gekleidet. „Die 299ste Veranstaltung der Neuzeit“, so ein Ansager. „Ein Sonderprogramm wird heute dargeboten: Love and Blues, von und über die Liebe“. Etwas unspektakulär und fast schräg klingend pustet die Posaune, gespielt von Konrad “Conny” Bauer, los. Es setzt das Piano, Ulrich Gumpert, ein und langsam setzt sich der Rhythmus zu einem Kanon fort. Der Saal füllt sich mit Musik, mitreißend, um schließlich mit einem brummenden Ton zu enden. Zart und zerbrechlich, wie die Liebe. Walfriede Schmitt tritt ans Mikrofon, um Texte von Weltliteratur zu interpretieren. Musikalisch unterlegt zitiert sie Goethe, „die Nacht schuf tausend Ungeheuer…[…] ich hofft es. Ich verdient es nicht“. Stille. Als nächstes tritt Ruth Hohmann vor das Publikum – eine Größe im Jazz-Business. Wie paralysiert sitze ich da und lausche der Leidenschaft dieser betagten Sängerin, die Stimme rauchig und zugleich zart. Sie fesselt mit ihrem Temperament und ihrem Charme. Wieder erklingt die Posaune mit abstrakten und doch stimmigen Tönen. Stille. Storm, Brecht, Duras, Hölderlin, Kozik und Ringelnatz; „alles was lange währt, ist leise“: Liebe, Tod und Vergänglichkeit, die Momente des Glücks, Freude, aber auch Verzweiflung und tiefer Schmerz. Facettenreicher kann die Liebe gar nicht beschrieben werden. Und wieder beginnt Ruth Hohmann. War der erste Song noch sachte und schüchtern, ist der zweite voller Leben, überhaupt nicht ängstlich und lebensbejahend. Ja, man glaubt es kaum, Jazz ist nicht nur ernst und bieder, sondern auch humorvoll. So erzählt sie die Geschichte des „boops“ – all das was nach zwölf Monaten der ersten Liebe passieren kann, wenn aus Spaß Alttag wird: Wäsche und Geschirr waschen, das Baby wickeln…boop,boop,boop.

Jazz Lyrik Prosa – ein besonderes Erlebnis, für all diejenigen, die bereit sind zu- und hinzuhören, die bereit sind, sich auf etwas Neues, Ungewöhnliches einzulassen und die bereit sind, die Liebe in all ihren Facetten zu betrachten: das erste Verliebt sein, bei dem man dem Partner gar nicht mehr los lassen will, bei dem man sich unentwegt küsst; die Folgen der Liebe, des „boops“ und natürlich auch körperlicher Begierden. Love and Blues versprach wenig, doch weit gefehlt. Selten wurde dieses Thema mit so viel Leidenschaft, Feingefühl, Inspiration und Humor interpretiert. Wirkte das ganze Konstrukt zunächst etwas besonders, ungewohnt und fremd, zieht es einen doch in seinen Bann. Jazz Lyrik Prosa brachte mich zum Nachdenken und lies in mir die Frage aufkeimen, warum so wenig jüngere Menschen hier waren. Nimmt Qualität mit dem Alter zu oder verlieren wir in unserer hochmodernen Gesellschaft den Blick für Qualitatives? Wer weiß. Eines hat in Ewigkeit Bestand: Liebe. Stille

Herbstlese Erfurt 2009

Jazz Lyrik Prosa : “Love & Blues”

Walfriede Schmitt (Rezitation)

Ruth Hohmann (Gesang)

Konrad “Conny” Bauer (Posaune)

Ulrich Gumpert (Piano)

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