Ihnen fehlt ein Ton
Die Herren Grüßaugust.
14.09.2010 [db] Es gab eine Zeit, in der ein Mann Gehrock und Hut getragen hat, einen Zylinder vielleicht. Und einen Gehstock. Die Dame trug Reifröcke und Handschuhe. Alles ging noch ein wenig gemächlicher zu. Und der gute Ton schwang wohlklingend über allem. Es war eine Zeit, in der man noch das Rauschen der Blätter in den Bäumen hören konnte. Den Flügelschlag einer Taube. Das Summen der Bienen. Es war die Zeit der großen Parkanlagen mit Springbrunnen und Statuen zwischen Linden. Es war die Zeit, in der es den Grüßaugust gab. Kennt ihr den Grüßaugust? Vielleicht den Winkewilhelm? Nein? Hm, das müssen wir ändern – dringend! Als Grüßaugust bezeichnete man in einer anderen Zeit „meist gut aussehende junge Herren, die von Städten und Gemeinden zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens in so genannten KIEZen zum musizierend FLANIEREN und freundlich GRÜßEN gegen hohes Entgelt eingesetzt wurden“.
Heute ist das alles anders. In den Städten liegt längst nicht mehr der Duft von Rosen in der Luft. Auf das Summen einer Biene hört keiner mehr. Und Tauben sind lästige Stolpersteine in den Fußgängerzonen. Wann habt ihr das letzte Mal jemanden auf der Straße gegrüßt? Einfach so? Weil es höflich ist? Es fehlt der gute Ton. Allerorten. Aber es gibt Unerschüttliche, die genau das ändern wollen. Man sieht es ihnen nicht auf den ersten Blick an. Und man nimmt es ihnen auch nicht gleich ab. Stellt euch einfach vor, ihr sitzt in einer Künstlergarderobe. Rauchgeschwängert. Koffer stehen umher, offen, voller Kleider. Im Sessel lümmelt ein tätowierter Kerl in einem dunklen Overall. Im gegenüber sitzen zwei Herren in edlem Zwirn und ein vierter rennt pausenlos rein und raus. Ihr sitzt dazwischen und wundert euch, wie ihr da hineingeraten seid. Willkommen in der Welt von „Grüßaugust“. Darf ich kurz vorstellen? Herr Jany auch bekannt unter Dr. Tinnitus Banani oder Kokolorus Mitnichten sitzt am XXL-Schlagzeug, Herr Robert Beckmann besser bekannt als FROLLn BARTKAMM an der ausgeglichenen Geige, Herr Springborn an der unschuldigen Gitarre und Karsten Grabo, seines Zeichens Herr Schlaf und seit kurzem auch „Die Königin der Nacht“, am eloquenten Bass. Sie haben sich aufgemacht den Ton zu finden, der ihnen – und nicht nur ihnen – fehlt und fürderhin Höflichkeit unters Volk zu bringen. Gestandene Musiker, hervorgegangen unter anderem aus Bands wie The Inchtabokatables, die sich aufgemacht haben, jedem Interviewer die Tränen in die Augen zu treiben. Und wenn sie das geschafft haben, zu musizieren! Wohlklingend, versteht sich.
Es gibt Bands, die kann man getrost als Interviewschreck bezeichnen. Es gibt da Künstler, die antworten einsilbig auf jede Frage. Es gibt jene, deren Lieblingsstatement scheint „No Comment.“ oder „Next.“ zu sein. Und es gibt jene, die bereiten dir Muskelkater. Die lassen dich an deinem Verstand zweifeln und strapazieren deine Lachmuskeln bis zum Zerreißen. Vier derartige Herrschaften bilden die Formation „Grüßaugust“. Ich schicke mich an, die erste Frage zu stellen und werde gleich unterbrochen, vom hin- und her rennenden Herrn Springborn.
Herr Springborn: „Seh ich so gut aus mit den spitzen Schuhen?“
FROLLn BARTKAMM: „Auf der Bühne? Biste dir da sicher? Na besser aussehen tun sie, find ich. Du willst ja nur am besten aussehen heute Abend.“
Herr Jany: „Bei den Schuhen kann man ja auch nichts anderes denken.“
Herr Springborn: „Und was ist mit der Mütze?“
Alle: „Nee.“
Doreen: „Also ich fand die jetzt schick.“
Alle: „Jaaaaa.“
Herr Springborn: „Robert fand die nicht okay, aber danke trotzdem.“
FROLLn BARTKAMM zeigt auf mein BlackBerry: „Euch ist bewusst, dass das Ding die ganze Zeit läuft?!“
Doreen: „Habe ich eben erst angestellt.“
FROLLn BARTKAMM: „Ja ja.“
Alle schreien durcheinander.
FROLLn BARTKAMM: „Was ist denn das hier in der Ecke? Was ist denn das für ein Koffer?! Schlaf, ist das dein Koffer?“
Herr Jany: „Hier riecht’s nach nasser Hund. Wenn ich ein Jever hätte, wär’s das Jever, aber is ja keins.“
Schaut zu Herrn Springborn: „Is das dein Schuh?“
Herr Springborn rümpft die Nase.
Doreen: „Jever riecht nach nasser Hund?“
Herr Jany: „Ja.“
Doreen startet einen weiteren Versuch für ein Interview: „Wie kommt man auf den Namen Grüßaugust?“
Alle schauen auf FROLLn Bartkamm.
FROLLn BARTKAMM: „Ja, wie kommt man auf den Namen Grüßaugst? Man überlegt sich, dass man als Band einen Namen braucht, so geht das erstmal los. Dann erzählt man Freunden, dass man eine Band gründen will, dann lachen die sich erst mal schon tot. Und dann kommt Herr Jany mit was um die Ecke, wo wir alle sagen: ‚Das gefällt uns ja gar nicht‘ Unser Name gefällt uns ja gar nicht.“
Begeistertes Schweigen.
Auf die Bühne bringen wollen sie die Etikette nicht, mit der ihr ungeliebter Bandname so eng verknüpft ist. Vielmehr zurück auf die Kiez, auf die Straßen, wo man nette Menschen trifft. Auf die Bühne bringen sie Musik! Mit Geige, markantem Gesang, heraustechendem Bass und viel Witz. Sie klingen dabei nicht unähnlich einer Band, die von vielen liebevoll „Die Intchies“ genannt wurde. Und sind doch einzigartig. Eines wollen sie neben dem Wissen, dass man Songs von Schallplatten durchaus auf MP3 bringen kann, um es dann zu verschriftlichen, zu drucken und zu binden und als Buch ins Regal stellen kann, noch loswerden: „Seid höflich und grüßt einander.“ Demnächst wahrscheinlich auch auf Longplayer. Demnächst wahrscheinlich auch auf Tour. Und ganz sicher irgendwo auf dem Kiez unterwegs. Grüßen!
Kostprobe gefällig? Zu finden auf dem Forum für relevante Musik: http://gruessaugust.com/
Interview: Doreen Brand // Fotos: Maik Gaede