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Mit Jan Josef Liefers und Oblivion auf Zeitreise

Jan Josef LiefersUnbekannte Ostrock-Songs und DDR-Anekdoten mit biographischen Zügen in der Kulturarena

20.08.2010 [nm] Am Freitag, dem 20. August 2010, war der Sommer nach Thüringen zurückgekehrt. Das freute auch die 3.000 Liebhaber frischer direkter Rockmusik, die sich für diesen Abend eine der mit 17 Euro durchaus preiswerten, begehrten Karten für JAN JOSEF LIEFERS ausverkauftes Konzert in der Kulturarena in Jena ergattert hatten. Denn weder sitzend auf der Tribüne, auf der ein Kissen neben dem anderen lag, noch stehend in der Arena, wo sich Turnschuh an Ballerina reihte, war Platz für Regenjacke, Schirm und Gummistiefel. Für diesen Musikabend waren viel wichtigere Dinge in Hosen- und Handtaschen der zumeist Mittvierziger gewandert. Nämlich Sonnenbrille, Fotoapparat und Feuerzeuge. Wer zudem eine Portion Geschichtswissen in die hinterste Ecke gesteckt hatte, der war besonders gut vorbereitet. Denn der schauspielernde Sänger JAN JOSEF LIEFERS, der im Jahre 1964 in Dresden das Licht der Welt erblickt hatte, heute in Berlin-Steglitz zuhause ist und als einstiger DDR-Aktivist im November 1989 vor Menschenmassen in Berlin in nur sechs Minuten Sprechzeit die Zerstörung der DDR-Strukturen für einen demokratischen Sozialismus forderte, nahm die Arena-Besucher im Herzen Jenas, nur knapp fünfhundert Meter vom Institut für Pathologische Biochemie der Friedrich Schiller Universität Jena, mit auf eine rockige Zeitreise. Er erzählte zwischen den Songs so manch Anekdote aus seiner Kinder- und Jugendzeit, um diese sogleich mit DDR-Original-Zitaten von Honecker oder Ulbricht zu untermauern und aufs nächste Stück überzuleiten.

Der Sänger, den viele bisher nur als Akteur im Theater (Ein Monat auf dem Lande, Was ihr wollt, Minna von Barnhelm) oder Schauspieler (Rossini-oder die mörderischer Frage, wer mit wem schlief, Jacks Baby, Das Wunder von Lengede) kannten, hatte für diesen Abend deutschsprachige Ostrock-Mucke im Gepäck. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um die wenigen grenzüberschreitenden DDR-Hits von den sieben Brücken und den alten Bäumen. LIEFERS brachte, mal mit tiefer, kraftvoller Rockerstimme, mal mit sanfteren Klängen, die unbekannteren, selbst im Osten teilweise vergessenen Lieder ins Gedächtnis zurück und zauberte damit so manch seliges Grinsen auf die Gesichter der Lauschenden. So erklang Wenn ein Mensch lebt von den PUHDYS, gefolgt von Für die Liebe noch zu mager, das einst die RENFT COMBO im gleichnamigen DEFA-Film zum Besten gab, oder ganz spontan, weil die Melodie LIEFERS gerade in den Sinn kam, Die Stille der Nacht von KARAT. Doch diese Reise in die Vergangenheit war nicht nur ein musikalischer Zeitsprung. LIEFERS, der nicht nur auf der Arena-Bühne zu keiner Minute um ein Wort verlegen war und fast nie stillstand, nahm die Zuhörerschaft mit zurück zu Stationen seiner Kindheit und Jugend. So berichtete er, untermalt von einigen Jauchzern, zum Beispiel, wie er sich als kleiner Steppke schon kurz nach dem ersten Schultag bei der Lehrerin bekanntmachte, weil er ihr, als diese gerade durchs Klassenzimmer schritt, aufs – wie LIEFERS heute schmunzelnd sagt – „ultrabreite Gesäß“ haute. Vom Publikum mit großen Ohren verfolgt, wurde auch LIEFERS Anekdote vom ersten Manöver im Wehrunterricht, bei dem er und seine Leidensgenossen – ohne auf Karte und Kompass zu achten – einfach blindlings in den Wald hineinmarschierten, um aufgrund völliger Orientierungslosigkeit in grün-braun-gefleckter Tarnkleidung einige Stunden später mit der Straßenbahn zum Ausgangspunkt zurückzufahren, an dem sie der Feldwebel mit den Worten „Was wollt‘n ihr mal im Krieg machen? Mit der Bahn an die Front fahrn – oder was?“ empfing. Auch die Geschichte vom ersten Gitarrenunterricht, bei dem LIEFERS, wie er heute beschreibt, in der „Gruft“ seines faltigen, weißhaarigen Musiklehrers, in die wegen der schweren Gardinen an den Fenstern kaum ein Sonnenstrahl kam, zur Eselsbrücke „Hei-del-bär“ das erste Mal die Saiten einer Gitarre zupfte, ließ einige herzhafte Lacher aus den dicht gefüllten ersten Reihen vor der Bühne und selbst aus dem hintersten Winkel des Arena-Geländes vernehmen.

Zwar brach JAN JOSEF LIEFERS eines Tages seinen Musikunterricht mit einem vorgetäuschten Stimmbruch ab, weil er die Nase voll hatte von alten Klassikern. Aber diese „scheinbar endlosen Nachmittage“, mit der Gitarre unter dem Arm und dem vom klappernden Gebiss des Musiklehrers im Glas ohne Wasser auf dem Klavier stehend begleiteten ersten gelernten A-Dur-Akkord, waren durchaus von Nutzen. So steht der einst freche Bengel und verhaltensoriginelle junge Mann, der damals ständig, wenn auch als Kind oder Jugendlicher noch unbewusst, versucht hatte sich mit Streichen bei Erwachsenen und Gleichaltrigen bemerkbar zu machen, heute samt knackiger Instrumentalbesetzung selbstbewusst als gestandener Musiker auf der großen Arena-Bühne. Von hier aus trägt er über die Boxen folgende Botschaft in die Jenaer Nacht und in die Welt hinaus: „sei ganz du selbst, man kann auch glücklich sein, ohne sich zu verbiegen.“ LIEFERS jedenfalls hat sich nicht verbogen. Die Kritiker des Abends, die ihn schnell in die Schublade des singenden Schauspielers stecken wollten, hat er mit Sicherheit überzeugt. Doch die Liebe in fremde Rollen zu schlüpfen, scheint der schauspielernde Sänger, singende Schauspieler – oder einfach JAN JOSEF LIEFERS – auch auf der Bühne nicht ganz ablegen zu können. Und das ist auch gut so. Denn wer, außer ihm, kann 3.000 Leute, von denen sich an einem locker beschwingten Sommerabend wahrscheinlich nur wenige an das gute alte Leben in der DDR erinnern lassen wollen, auf lustig unterhaltende Weise mitnehmen in eine Zeit, die auch für viele der Besucher mit vielen erinnerungswürdigen, aber auch weniger schönen Gedanken verbunden ist. Mit JAN JOSEF LIEFERS nöliger, direkter Gesangs-Stimme und seinem sanften Erzählton umrahmt von den frischen direkten Klängen seiner Band OBLIVION, wurde daraus ein geschichtsträchtiges Konzertvergnügen, dass eben kein Nostalgiekonzert und erst recht keine Ostalgie aufkommen lies. Die flotte Rockmusik ging direkt ins Tanzbein und bleibt hoffentlich noch lange genau dort.

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